Montag, 17. März 2014

Je traumatischer das Drama desto dramatischer das Trauma

Mein Neffe sagte neulich zu mir, dass er beim nächsten Mal gerne im Publikum sitzen möchte, wenn ich einen neuen Text geschrieben habe und auf der Bühne vortrage. Mein Neffe ist 14. Ein sensibles Alter. Darum sollte ich ein bisschen aufpassen und mir ganz genau überlegen, was für einen Text ich lese und welche schlüpfrigen Themen ich mir vielleicht besser verkneife.

Immerhin hat der Junge mir schon im Alter von 11 Jahren vorgeworfen, dass ich für sein erstes Kindheitstrauma verantwortlich bin. Das hat er wortwörtlich so gesagt, diese bekloppte Göre. Ausgelöst wurde sein Trauma durch ein ursprünglich ganz harmloses Gespräch mit mir, bis ich aufeinmal irgendwie in die peinliche Situation kam, in der ich ihm gestehen musste, dass ich in meinem Leben ----- schon mal Sex hatte!

Diese Information war für den Ärmsten mehr als er verkraften konnte. Es gab ein riesen Geschrei und von ihm fielen Sätze wie: "Oh Gott, nein! Ich bin zu jung zum Sterben!" und "Igitt, in deinem Alter!" Womit er natürlich nicht ganz unrecht hatte. Immerhin war ich zu dem Zeitpunkt schon 33 Jahre alt! In dem Alter sollte man wirklich keinen Sex mehr haben... Sex ist nur was für Teenager und Obdachlose.

Wenn es nach meinem Neffen ginge, hätte ich allerdings auch als Teenager keinen Sex haben dürfen. Schließlich bin ich seine Tante und somit für ihn asexueller als ne Rolle Klopapier. In den unschuldigen Augen eines Kindes ist die eigene Tante nichts anderes als eine mit rosa Zuckerwatte gefüllte Elfe, die unter einem Regenbogen haust und hin und wieder ein paar Blumen oder Bonbons auspupst.

Nachdem ich diese Illusion nun zerstört habe, bin ich heute für meinen Neffen nur noch eine nymphomane Sexsüchtige, die sogar einen Hydranten ficken würde. Immer wenn er mich seitdem besucht und ich ihn mit den unschuldigen Worten : "Na, mein Hase?" begrüße, wirft er mir diesen argwöhnischen Blick zu und sagt:  
"Du hast es doch schon wieder getrieben!"

Ich kann ihn ja verstehen. Ich kann mir wirklich gut vorstellen, wie ihm zumute sein muss. Erst vor ein paar Wochen habe ich selbst ein weiteres Trauma in meinem Leben verkraften müssen. Dem muss ich vorausschicken, dass es durch die Erziehung meines iranischen Vaters undenkbar für mich war, jemals einen meiner Familienmitglieder nackt gesehen zu haben, nicht einmal meine Geschwister. Auch nicht als Kinder.
Also zurück zu meinem Trauma. Mein armer, alter Vater, schon etwas dement, stand gerade für das kleine Geschäft mit heruntergelassener Hose im Bad und hatte vergessen, die Tür zu schließen. Und schwupps, schon hatte ich mein jüngstes Trauma erfahren, als ich mal aufs Klo musste.

So schnell kann's gehen. In der einen Sekunde überlegst du, ob du zum Mittag lieber einen Eintopf oder eine Rinderbrühe kochen sollst, in der nächsten Sekunde siehst du deinen Vater nackt, und dieser Anblick erscheint dir wie ein Autounfall, bei dem man nicht hinsehen will, seine Blicke aber auch nicht abwenden kann. Das ist also die Geschichte zu meinem aktuellen Trauma. Im Alter von 36 Jahren habe ich zum ersten mal in meinem Leben meinen Vater nackt gesehen. Und jetzt muss ich auf eine Sonderschule gehen...

Deshalb möchte ich auf keinen Fall für ein weiteres Trauma im Leben meines Neffen verantwortlich sein. Darum sollen sich gefälligst seine Eltern kümmern. Schließlich ist es deren Aufgabe sein Leben zu zerstören, und nicht meine. Außerdem habe ich meinen Beitrag dazu ja wohl schon geleistet.