Montag, 25. Juni 2012

Ist euch sowas auch schon mal passiert?


Als ich eines Abends gegen 23.00h müde vom Spätdienst kam und in Gedanken versunken meine Straße hinunterlief, verließ ein junger Mann einen kleinen Italiener gerade in dem Moment, in dem ich das Lokal passieren wollte. Ich kannte sein Gesicht, aber ich konnte es nicht einordnen. Er musste irgendwo im selben Haus arbeiten wie ich, da war ich mir sicher, und in Sekundenschnelle ratterte mein Verstand sämtliche Möglichkeiten durch: Praktikant, Zivi, BSJler, Reinigungskraft… ich fand es nicht. Und da er mich höchstwahrscheinlich genauso vergeblich einzuordnen versuchte wie ich ihn, ergriff ich als emanzipierte Frau schließlich die Initiative (was hat das eigentlich mit emanzipiert zu tun?) und sagte etwas bedeppert, weil ich so übermüdet war:
„Du kommst mir so bekannt vor, wir kennen uns doch von irgendwoher?“
Der junge Mann grinste spöttisch und schüttelte den Kopf.
„Eher nicht“, antwortete er.
In eben diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen und mir wurde siedendheiß bewusst, was Sache war. Erschrocken sagte ich:
„Owei, jetzt hab ich’s gerafft… tschuldigung…!“
„Kein Problem“, antwortete Daniel Brühl belustigt und ich eilte beschämt weiter.
Oh Mann, in Mitte sieht man die Groupies vor lauter Schauspielern nicht. Oder so ähnlich. 

Mittwoch, 6. Juni 2012

Meine Persönlichkeitsstörung und Ich

"Ich habe Angst davor, nie wieder gesund zu werden", sagte ich zum Psychologen. Ein betretenes Schweigen setzte ein, das mir nicht gerade Zuversicht einflößte. Schließlich räusperte er sich und antwortete:
"Bei einer Persönlichkeitsstörung geht es eigentlich auch viel weniger darum wieder gesund zu werden, als viel mehr darum einen Weg zu finden, damit leben zu lernen."
Das war also SEIN Weg mir mitzuteilen, dass Hopfen und Malz für mich schon längst verloren war. Aufmunternd und fröhlich fügte er hinzu:
"Nehmen sie HIV-Infizierte zum Beispiel, die haben inzwischen auch ganz gute Lebenserwartungen und können größtenteils ein weitgehend normales Leben führen, trotz der  tödlichen Bedrohung."
Aha. Na wenn das so ist... Da freu ich mich aber. Das Beste aus meiner Situation solle ich machen. Gut. Dann werde ich zunächst einmal versuchen meine Symptome  zusammenzutragen, um dann das Beste daraus zu machen. Also los.

  • Massive Schlafstörungen mit Alpträumen, aus denen ich in kaltem Nachtschweiß gebadet aufschrecke
  • Desorientierung
  • Antriebslosigkeit, sodass ich manchmal für mehrere Tage das Bett nicht verlassen kann
  • Das Gefühl der inneren Leere
  • Eine tiefgehende Wut
  • Selbstzweifel und Selbsthass
  • Verharren in Beziehungen, die nicht gut für mich sind
  • Selbstzerstörerisches Verhalten
  • Mangelnde soziale Kontakte
  • Verlust meiner Selbstachtung, da ich mich weiterhin von Menschen demütigen, erniedrigen und psychisch vergewaltigen lasse, die mir eigentlich zur Seite stehen sollten
  • Eine tiefgreifende Angst
  • Traurigkeit, Hilflosigkeit, Verzweiflung
  • Unzureichendes Selbstwertgefühl
  • Aufspaltung meiner Person, mein Körper und Geist sind desintegriert
  • Zerfall meiner Ich-Grenzen
  • Unwirklichkeit in meiner Selbstwahrnehmung, das Gefühl der Betäubtheit
  • Selbstmordgedanken

So. Also, wenn ich mir diese popligen Furz-Symptome so ansehe, stelle ich fest, dass das ganze eigentlich wirklich gar nicht so dramatisch ist, wie ich zuerst dachte. Das bisschen Kontrollverlust. Ok. Und jetzt: Das Beste draus machen. Dafür werde ich einmal meine Erfolge aufzählen, die ich bisher in meinem Leben erzielt habe...
Na ja, immerhin habe ich es mal geschafft, eine Kerze auszurülpsen...
Oh Mann, das war toll! Jetzt brauch ich 'ne Zigarette... Vielleicht ist so eine Persönlichkeitsstörung ja doch gar nicht so übel. Eigentlich ist sie sogar ziemlich cool, weil originell. Vielleicht schaffe ich es ja sogar, einen Trend daraus zu machen. Das ist hierzulande ja gar nicht so schwer.

Bis vor kurzem war ja noch das ADHS ganz groß im Kommen und ziemlich hip. Jeder hat es und das ADHS ist an allem Schuld. Wenn die Bälger undiszipliniert sind und keinen Funken Respekt zeigen, zum Beispiel. Oder wenn eines dieser Versagerländer mal wieder in den Bankrott geht. Oder wenn nichts gutes im Fernsehen läuft. Ganz egal, was auch immer schief läuft in deinem Leben, oder wie verzogen deine Gören auch immer sein mögen, übernehme bloß nicht selbst die Verantwortung, sondern schieb es einfach aufs ADHS, egal wie wenig Sinn es macht. Das fällt überhaupt nicht auf.

Nachdem sich die Aufregung um das ADHS dann etwas gelegt hatte, folgte ja sofort die nächste hypochondrische Modeerscheinung, die wie ein Tsunami über die Republik geschwappt ist. Eine reichlich tuntige Modeerscheinung, möchte ich hinzufügen. Laktoseintoleranz. Jeder hat sie. Auf einmal. Ganz plötzlich ist sie aus dem Nichts entstanden und jeder, der heute wirklich etwas auf sich hält, ist seit neuestem auch laktoseintolerant. Ich verstehe diese neuen Moden nicht. Dass es im Moment ganz besonders schick sein soll, jeden wissen zu lassen, dass einem beim Verzehr eines Stückchens Käse der Hintern hochgeht wie eine Wasserstoffbombe. Nur in Methan. Wenn ich mich gelegentlich mit Anderen über dieses Laktoseintoleranz-Phänomen unterhalte, setzt grundsätzlich zuerst ein beklemmtes Schweigen ein, bevor meine Gesprächspartner verlegen antworten:
"Ja, stimmt. Das ist echt total übertrieben. Aber ICH hab das WIRKLICH...!"
Genau! Ich kann euch eure Laktoseintoleranz ja auch mal rausprügeln, wie wär DAS denn mal?! 
Na ja, wer's eben braucht. Warum dann also nicht auch mal eine Persönlichkeitsstörung? Zum sich sinnlos drauf rausreden.

"Schahatz, du hast vergessen Klopapier zu kaufen"
"Ja, ich hab aber vielleicht auch 'ne Persönlichkeitsstörung!?"

Das wär's doch!